Indem wir mit anderen über Dritte reden, sammeln wir Informationen – über den Menschen, mit dem wir gerade sprechen, und über denjenigen, über den gesprochen wird. Wozu ist das gut?
Von aussen betrachtet wirkt es banal, manchmal sogar abwertend: das Reden über andere Menschen. Wir nennen es «Klatsch», «Lästern», «Tratschen» – und fast alle tun es. Ob in der Teeküche, beim Abendessen oder in Chatgruppen: Kaum ein Gespräch kommt ganz ohne die Erwähnung Dritter aus. Doch warum eigentlich? Was macht das Reden über andere so attraktiv?
Menschen denken, reden und grübeln über andere weit häufiger, als ihnen bewusst ist – und oft auf Kosten ihrer eigenen Klarheit und Konzentration. Höchste Zeit also, Klatsch und Tratsch nicht nur moralisch zu beurteilen, sondern neurobiologisch zu verstehen.
Unser Gehirn ist auf Beziehungen programmiert
Beginnen wir mit einem erstaunlichen Befund aus der Kognitionsforschung: Die soziale Kapazität des menschlichen Gehirns reicht aus, um die Beziehungen einer geschlossenen Gruppe von etwa 150 Personen zu erfassen. Diese sogenannte Dunbar-Zahl ist kein Zufallswert – sie beschreibt die kognitive Grenze dafür, wie viele Individuen wir mit einigermassen verlässlichem Wissen sozial «verwalten» können.
In einer solchen Gruppe entstehen über 10.000 potenzielle Beziehungen – denn nicht nur die direkten Kontakte zählen, sondern auch das Geflecht: Wer kennt wen? Wer mag wen? Wer hat kürzlich mit wem gesprochen – und in welchem Ton?
Unser Gehirn ist damit beschäftigt, dieses Netzwerk laufend zu aktualisieren. Und genau hier kommt Klatsch ins Spiel: Er dient der sozialen Informationsbeschaffung und Beziehungspflege.
Wir tratschen, um Informationen über andere zu sammeln
Wenn wir über andere sprechen, dann geschieht auf mehreren Ebenen gleichzeitig etwas:
- Wir erfahren etwas über den Menschen, über den gesprochen wird.
- Wir erfahren etwas über den Menschen, mit dem wir sprechen – seine Werte, Urteile, Loyalitäten.
- Wir positionieren uns selbst in der sozialen Ordnung.
Klatsch ist also kein bloßer Zeitvertreib – sondern eine ein Mittel zur sozialen Orientierung. Er beantwortet Fragen wie:
- Wem kann ich vertrauen?
- Wer ist gefährlich?
- Wer gehört zu meiner Gruppe – und wer nicht?
Der Evolutionspsychologe Robin Dunbar hat Tratsch einmal als «soziales Grooming» bezeichnet – in Anlehnung an das gegenseitige Lausen bei Affen. Nur dass wir nicht körperlich, sondern verbal Verbindung und Vertrauen schaffen.
Warum Menschen in unteren Hierarchiestufen mehr tratschen
Ein weiterer spannender Aspekt betrifft die soziale Hierarchie. Studien zeigen: Je weiter unten ein Mensch in der sozialen Ordnung steht, desto mehr interessiert er oder sie sich für andere. Warum?
Ganz einfach: Wer weniger Einfluss und Kontrolle hat, muss sich durch Wissen Vorteile verschaffen. Informationen über Beziehungen, Machtverschiebungen oder Allianzen können entscheidend sein – etwa für die eigene Sicherheit oder das berufliche Fortkommen.
Daher ist es kein Zufall, dass in Unternehmen Angestellte mehr über ihre Vorgesetzten sprechen als umgekehrt. Der Chef muss selten einschätzen, wie die Praktikantin zur Assistentin steht – umgekehrt ist es jedoch strategisch klug.
Unser Gehirn hat ein feines Gespür dafür, wo wir auf der sozialen Leiter stehen – und was wir tun müssen, um nicht zu fallen oder besser noch: aufzusteigen.
Tratsch als Ablenkung vom Selbst
Wenn du ständig über andere nachdenkst, dann denkst du weniger über dich selbst nach. Das mag gewollt sein, wenn du lieber nicht über dein Innenleben nachdenken willst – doch du bezahlst dafür mit deinem Fokus. Denn jedes Gespräch über Dritte lenkt dich von deinen eigenen Gedanken, Zielen und Gefühlen ab.
In meiner Praxis erlebe ich oft, dass Menschen sich grosse Sorgen machen über das, was andere über sie denken oder von ihnen halten könnten. Sie denken zum Beispiel:
- Was denken die anderen in meiner Clique über mich?
- Warum hat mein Kollege das gesagt?
- Was will mein Chef damit andeuten?
Damit fliesst ein grosser Teil ihrer mentalen Energie in solchen Gedankenspiralen. Und das Verrückte daran ist: Wir bilden uns ein zu wissen, was andere denken – und sind dann beleidigt oder verängstigt wegen unserer eigenen Gedanken.
In Tat und Wahrheit denken andere Menschen viel seltener über uns nach, als wir meinen. Ein Zitat von Bertrand Russell bringt es wunderbar auf den Punkt:
«Menschen, die immer daran denken, was andere von ihnen halten, wären überrascht, wenn sie wüssten, wie wenig die anderen tatsächlich über sie nachdenken.»
Warum das soziale Gehirn unser Fokusproblem ist
Die grösste Herausforderung im Umgang mit Tratsch ist nicht moralischer Natur. Es geht nicht darum, nie wieder über andere zu sprechen – das wäre weder realistisch noch gesund. Sondern um Selbstführung: Wer entscheidet eigentlich, worauf du deinen mentalen Scheinwerfer richtest?
In der Neurobiologie sprechen wir hier von externer vs. interner Aufmerksamkeit.
- Externe Aufmerksamkeit richtet sich auf Reize, Menschen, Gespräche – auf das, was «draussen» geschieht.
- Interne Aufmerksamkeit richtet sich auf deine Ziele, Werte, Körperempfindungen, innere Prozesse.
Beides ist wichtig. Doch viele Menschen verbringen einen Großteil ihrer Wachzeit im Aussen, im Modus der sozialen Überwachung. Sie wissen mehr über die Konflikte ihrer Kolleginnen und Kollegen als über ihre eigenen inneren Ambivalenzen. Das hat Folgen:
- Konzentrationsverlust: Wenn du ständig darüber nachdenkst, was andere tun oder denken könnten, hast du weniger Kapazität für fokussiertes Arbeiten.
- Selbstentfremdung: Du verlierst den Kontakt zu deinen eigenen Bedürfnissen und Zielen.
- Chronischer Vergleich: Das soziale Gehirn misst sich unablässig mit anderen und erzeugt Unruhe, Neid oder Minderwert.
Die Lösung: Vom Aussen ins Innen zurückkehren
Die Lösung liegt nicht im radikalen Rückzug, sondern in einer bewussten Umverteilung von Aufmerksamkeit. Wenn du spürst, dass du dich immer wieder im Außssen verlierst, kannst du mit kleinen Schritten wieder nach innen navigieren.
Hier ein paar Impulse:
- Beobachte deine Gespräche: Wie oft drehen sie sich um andere? Was sagt das über deine Bedürfnisse aus?
- Frage dich beim Tratsch: Was will ich mit dieser Information anfangen? Dient sie mir wirklich?
- Fokussiere dich bewusst auf dein Leben: Was ist dir gerade wirklich wichtig? Welche Entscheidungen stehen an?
- Meditiere oder schreibe Tagebuch: Beides stärkt die Fähigkeit zur inneren Aufmerksamkeit und Perspektivübernahme.
- Grenze dich freundlich ab: Du musst nicht jeden Tratsch mitmachen. Ein «Ich weiss nicht genug, um das beurteilen zu können» reicht oft schon.
Fazit: Tratsch ist menschlich – aber nicht harmlos
Das Reden über andere erfüllt evolutionär sinnvolle Funktionen: Es hilft uns, soziale Netzwerke zu verstehen, Zugehörigkeit zu erleben und uns selbst zu positionieren. Doch wenn Klatsch zur Hauptbeschäftigung wird, zahlen wir einen Preis: Wir verlieren uns selbst aus dem Blick.
In einer Zeit, in der mentale Klarheit, Selbstführung und Konzentration zu den knappsten Ressourcen gehören, lohnt sich eine neue Haltung gegenüber Tratsch: Es ist keine moralische Schwäche, sondern eine mentale Ablenkung, die wir bewusst durchbrechen können.
Letztlich zählt nicht, was andere über dich denken, sondern was du selbst über dich denkst.
Wünschst du dir mehr Selbstbewusstsein? Weniger negativen Self-Talk? Klare Ziele, mehr Fokus und weniger Ablenkung? Dann lass uns daran arbeiten!
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Dieser Text wurde mit Hilfe von ChatGPT erstellt und von mir kontrolliert und bearbeitet.